Österreich unterlag nicht dem Deutschen Bund, denn es war selber Teil des Deutschen Bundes. INNERHALB des Deutschen Bundes konkurrierte es mit Preußen um die Vorherrschaft. Diesen Konkurrenzkampf entschied Preußen im preußisch-österreichischen Krieg 1866 in der Schlacht von Königgrätz. Preußen drängte Österreich damit aus Deutschland hinaus und bereitete der kleindeutschen Einigung unter preußischer Führung den Weg.
Die "Großdeutsche Lösung" scheiterte unter anderem daran, daß Österreich-Ungarn ein Vielvölkerstaat war, in dem die herrschenden Österreicher nur eine Minderheit waren und das von ihnen bewohnte Gebiet nur einen vergleichsweise kleinen Teil des gesamten Staatsgebietes ausmachte. Es konnte daher nicht Teil eines deutschen Nationalstaates werden.
Oder man hätte das Habsburgerreich zerschlagen und Deutsch-Österreich und das Sudetenland mit dem Deutschen Reich vereinigen müssen. Aber das wären nationalrevolutionäre Ideen gewesen, die dem Monarchisten Bismarck völlig fern lagen. Fernerhin hätte die Gefahr bestanden, daß dann die ehemals zu Österreich-Ungarn gehörenden slawischen Völker unter russischen Einfluß gekommen wären, was die Macht Rußlands erheblich gestärkt hätte. Das hätte in Bismarcks Augen eine für Deutschland gefährliche Verschiebung der machtpolitischen Gewichte in Europa bedeutet. Außerdem hätte Frankreich auf eine großdeutsche Einigung mit Krieg reagiert (siehe unten). Daher schien es Bismarck alles in allem ratsam, Österreich-Ungarn zu erhalten und ein Bündnis mit ihm anzustreben.
Daher sprach er sich nach dem preußischen Sieg von Königgrätz entschieden gegen einen für Österreich demütigenden preußischen Marsch nach Wien aus. Und es gab noch einen zweiten Grund für diese Mäßigung und Zurückhaltung: einflußreiche französische Kreise riefen nach "Rache für Königgrätz," das heißt: nach einem Krieg, um die sich anbahnende Entstehung eines geeinten Deutschland an der Ostgrenze Frankreichs im Keim zu ersticken. Um einen Krieg Frankreichs (ggf. im Bündnis mit weiteren europäischen Mächten) gegen Preußen abzuwenden, suchte Bismarck den preußischen Sieg von Königgrätz durch Mäßigung gegenüber Österreich für die anderen europäischen Mächte so erträglich wie möglich zu machen. Die kleindeutsche Einigung 1871 war dann das, was Europa (außer Frankreich) so gerade eben noch akzeptierte.
Die deutsche Einigung 1971 wurde von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung mit großer patriotischer Begeisterung getragen, die allerdings insbesondere in Bayern durch antipreußische Ressentiments eingeschränkt war. Auch lehnten viele Elsässer und Lothringer ihre Vereinigung mit dem Deutschen Reich ab, obwohl zumindest die Elsässer kulturell Deutsche waren und einen deutschen Dialekt sprachen. So waren anfangs auch die Wahlerfolge der elsässischen und lothringischen Regionalparteien sehr hoch, was sich erst allmählich reduzierte.
Nach der Reichsgründung geriet Bismarck innenpolitisch sehr schnell mit dem politischen Katholizismus (Kulturkampf) und der Sozialdemokratie (Sozialistengesetze) in Konflikt. Der tiefere Grund dafür lag nicht nur darin, daß er als erzkonservativer Monarchist ein Gegner aller revolutionären Umtriebe war, sondern vor allem auch darin, daß es sich in beiden Fällen um internationale Organisationen und Bewegungen handelte, die eine entsprechende Loyalität ihrer Mitglieder beanspruchten; Bismarck sah darin eine Konkurrenz zur Loyalität und Treue gegenüber Kaiser und Reich und fürchtete, daß hier internationale Mächte bzw. ausländische Souveräne (als solche hatten sich die Päpste von je her aufgeführt) in das gerade gegründete Deutsche Reich hineinregierten und seine Konsolidierung untergruben. Bismarck mußte schließlich in beiden Konflikten einen weitgehenden Rückzieher machen. Zugleich erwies sich auf längere Sicht, daß weder Katholiken noch Sozialdemokraten die Reichsfeinde waren, die Bismarck in ihnen gesehen hatte. Gewisse Vorbehalte blieben bei ihnen als Nachwirkungen der Auseinandersetzungen allerdings noch lange bestehen.
Vom liberalen Reformdrang des ehemals nationalliberalen Bürgertums war 1870/71 und danach nicht mehr viel übrig. Es empfand seine nationalen Hoffnungen als erfüllt, akzeptierte den Obrigkeitsstaat weitgehend so, wie er war, und konzentrierte sich ganz auf den wirtschaftlichen Aufschwung.
Fortschrittlich und für die Bevölkerung ein Segen (und weltweit damals einzigartig) war die Bismarck'sche Sozialgesetzgebung: Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung. Natürlich war sie auch ein Schachzug in Konkurrenz zur Sozialdemokratie, deren politischen Einfluß Bismarck damit schwächen wollte; aber sie war keineswegs nur das, sondern sie entsprang der patriarchalischen Fürsorgepflicht gegenüber den Untertanen, die Bismarck als Monarchist eben auch empfand.