Die Weimarer Republik war von Anfang an mit schweren Hypotheken belastet:
1. sie war das Produkt eines verlorenen Krieges,
2. sie wurde von vielen Deutschen abgelehnt,
3. sie stand unter dem Druck der 1.Weltkriegs-Siegermächte.
Nationalistische Kreise beschuldigten diejenigen, die mit der Revolution im Herbst 1918 das Ruder übernommen hatten, dem „im Felde unbesiegten“ Heer in den Rücken gefallen zu sein und damit für die deutsche Niederlage verantwortlich zu sein (DolchstoÃlegende). Viele Deutsche lehnten die Demokratie als System der Sieger und Feinde Deutschlands ab. Auch die ehedem kaiserlichen Beamten waren wie die Reichswehr gröÃtenteils Gegner der Demokratie und blieben es bis zum Ende der Weimarer Republik.
Zugleich aber muÃten die Deutschen erleben, daà die demokratischen Siegermächte das demokratische Deutschland um nichts weniger feindselig behandelten, als sie das kaiserliche behandelt hatten. Der Versailler Vertrag 1919, der Deutschland demütigte, verkleinerte, unterdrückte und wirtschaftliche ausplünderte, löste in Deutschland einhellige, wenn auch ohnmächtige Empörung aus. Alle Parteien der Weimarer Republik forderten seine Revision. „Wenn man es den Deutschen erlaubt hätte, mit Würde aus dem 1.Weltkrieg herauszukommen, hätte niemand dem Geschrei eines Adolf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller zugehört“ (Eugen Drewermann) - so aber war Versailles eine tickende Zeitbombe.
Die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets und die Annexion des Memellandes durch Litauen wurden als erneute Niederlage und Demütigung erlebt, gegen die Deutschland mit seiner 100.000-Mann-Reichswehr machtlos war. Die galoppierende Inflation wurde im Herbst 1923 durch eine Währungsreform beendet. Aber der ständige Aderlaà durch die Reparationszahlungen blieb eine schwere wirtschaftliche Last. Als sich die nationale Auflehnung gegen Versailles mit dem durch die Weltwirtschaftskrise verursachten sozialen Massenelend verband, brach die Weimarer Republik zusammen.
Im Vergleich mit der totalen Unterwerfung, weiteren drastischen Verkleinerung und Zerstückelung Deutschlands 1945 wirkt Versailles 1919 jedoch fast wie ein harmloser Tritt in den Hintern. Aber es gab in Deutschland 1945 und danach, anders als 1919, keine Welle nationaler Empörung über die Siegermächte. Es gab ja auch kein vergleichbares Vertragswerk, an dem sich die Gemüter erhitzen konnten, sondern nur eine Kapitulationsurkunde, restlose Erschöpfung, ein völlig zerstörtes Land und ein Volk, das durch die Hölle gegangen war und einfach nur heilfroh war, daà das Morden vorbei war.
Um so erstaunlicher ist, daà aus diesem Super-Versailles eine dauerhaft stabile deutsche Demokratie hervorging. Auch sie war wieder das System der Sieger, und diese waren keineswegs als Freunde der Deutschen oder Befreier, sondern als Feinde, Eroberer und Besatzer gekommen; sie hatten diesen Krieg nicht geführt, um die Hitler-Tyrannei zu stürzen, sondern um Deutschland als eigenständige, von ihnen unabhängige Macht ein für allemal zu vernichten. So gesehen waren die Voraussetzungen für die Entwicklung einer stabilen Demokratie in Deutschland noch viel schlechter als 1918/19.
ABER:
- die (West-)Deutschen suchten und fanden nach dem Krieg unter der Herrschaft der Westmächte Schutz vor der Sowjetunion, deren Armee 1945 mit bestialischer Gewalt mordend und vergewaltigend in Ostdeutschland eingefallen war, die nun in ihrem Machtbereich eine stalinistische Diktatur errichtete und vor deren weiterem Vordringen nach Westen man sich fürchtete;
- die Deutschen hatten die Erfahrung einer barbarischen totalitären Diktatur hinter sich;
- nachdem das nationalsozialistische Gesellschaftsmodell gescheitert war, bestand für die Deutschen nur noch die Alternative „Westliche Demokratie“ oder „Kommunismus,“ und da war für die groÃe Mehrheit der Deutschen die westliche Demokratie eindeutig die sympathischere Lösung. Ãberlegungen zu anderen, eigenständigeren deutschen Wegen zwischen Ost und West blieben Stimmen Einzelner; sie wären damals nicht nur an den Siegermächten gescheitert: auch die meisten (West-)Deutschen suchten Sicherheit in der Anlehnung an die Westmächte - Adenauers Parole „keine Experimente“ traf den Nerv vieler Deutscher;
- nachdem das Hitler-Regime die Deutschen auch kulturell von der übrigen Welt abgeschottet hatte, nahmen sie nun vieles, was an Kultur und Lebensart aus Amerika kam (z.B. Jazzmusik), interessiert und z.T. auch begeistert auf; durch die Care-Pakete, mit denen amerikanische Privatpersonen und humanitäre und kirchliche Organisationen die Not in Deutschland zu lindern suchten, erfuhren sie die Hilfsbereitschaft des amerikanischen Volkes.
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Stabilität der deutschen Demokratie war, daà sie mit materiellem Wohlstand einherging. Das „Wirtschaftswunder“ begann allerdings erst in den 50er Jahren. In dem von Dir genannten Zeitraum 1945-49 demontierten die Siegermächte in Deutschland Industrieanlagen - aufgrund der Empörung der Deutschen, die dabei häufig ihre eigenen Arbeitsplätze demontieren muÃten, oft unter Militärschutz - aber die USA und GroÃbritannien waren zunehmend an einer wirtschaftlichen Gesundung Westdeutschlands interessiert, um für die Versorgung der deutschen Bevölkerung nicht selber aufkommen zu müssen und um Westdeutschland als Basis und Bollwerk gegen den Osten ausbauen zu können. Deutschland kam ab 1948 in den Genuà des Marshall-Planes, eines Investitionsprogramms, das den wirtschaftlichen Wiederaufbau deutlich beschleunigte und gleichzeitig dazu diente, Deutschland wirtschaftlich in das westliche System einzugliedern.
Die alten nationalen Eliten Deutschlands (nicht nur die Nazis) waren zerschlagen, PreuÃen wurde vom Alliierten Kontrollrat aufgelöst; die Siegermächte unterwarfen das öffentliche Leben Deutschlands ihrer Aufsicht und Kontrolle; auch die Presse war von ihnen lizenziert. Mit Konrad Adenauer kam in der Bundesrepublik ein Mann an die Macht, der dem rheinischen Katholizismus entstammte, stramm antikommunistisch und von je her antipreuÃisch gesinnt war und in den 20er Jahren an separatistischen Bestrebungen im Rheinland beteiligt war. Seine Machtbasis waren nach 1945 die aus dem Zentrum und der Bayerischen Volkspartei hervorgegangene CDU und CSU. Die Mehrheit der Deutschen dachte und empfand damals noch gesamtdeutsch; Adenauers Bekenntnisse zur deutschen Einheit gerieten jedoch zunehmend zu Lippenbekenntnissen. Die westeuropäische Einigung war ihm wichtiger. Er hat, wie es der Publizist Sebastian Haffner einmal formuliert hat, „die Deutschen nach Westen umgedreht.“
Von maÃgeblicher Bedeutung für die westdeutsche Nachkriegsentwicklung war auch die alliierte „Umerziehung,“ die in den ersten Nachkriegsjahren noch sehr direkt und massiv betrieben wurde. Sie sollte die Deutschen zu Demokraten erziehen, vor allem aber die west-alliierte Herrschaft auf Dauer sichern. Die Deutschen sollten die Geschichte aus Sicht der Siegermächte sehen und beurteilen und all das, was diese ihnen während des Krieges und danach angetan hatten, als etwas akzeptieren, was ihnen nach den Verbrechen des 3.Reiches zu Recht geschehen sei. Der einfluÃreiche amerikanische Journalist Walter Lippmann hat dazu geschrieben: „Erst wenn die Kriegspropaganda der Sieger Einzug in die Geschichtsbücher der Besiegten gefunden hat und von den nachfolgenden Generationen auch geglaubt wird, kann die Umerziehung als wirklich gelungen bezeichnet werden.“